Idee

Die Idee zur Visuellen Grammatik gründet zum einen auf einer grundlegenden Hinterfragung gängiger grammatikalischer Einteilungs- und Beschreibungstraditionen und zum anderen auf der Erkenntnis, dass das starre Auswendiglernen von grammatikalischen Strukturen im heutigen Sprachunterricht nicht mehr zeitgemäß ist.

In Zeiten technologischen Umbruchs in den Schulen mit immer neueren Visualisierungsmöglichkeiten (vgl. iPadklassen etc.), bei gleichzeitig steigender Zahl von Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen (Grobe 2016), muss die Vermittlung von Lerninhalten grundlegend neu überdacht werden.

Im Bereich des Fremdsprachenerwerbs lassen sich schulische Misserfolge und Unsicherheiten häufig auf didaktische Mängel in der Darstellung von syntaktischen Strukturen zurückführen. Gängige rein statische und listenhafte Präsentationen syntaktischer Strukturen stellen nicht nur eine nicht mehr zeitgemäße Darstellung von Sprache dar, sondern widersprechen auch der inhärenten Dynamik von Grammatik.

Der Begriff Grammatik, abgeleitet von lat. (ars) grammatica < gr. grammatikḗ (téchnē) bzw. grammatikó‘die Buchstaben betreffend’ (www.duden.de), bezeichnet vornehmlich nicht ein Nachschlagewerk, mit dem wir den Begriff leider oft stereotypisch verbinden, sondern bezieht sich vielmehr auf den Grundstock unserer sprachlichen Kompetenz bzw. auf die mentale Repräsentation sprachlicher Struktur.

Durch die Vermischung zweier grundlegend gegensätzlicher Perspektiven auf die Grammatik,

  1. der synchronen Momentaufnahme bzw. einem starren, aus Regeln und Ausnahmen bestehenden präskriptiven Regelwerk, und
  2. der Idee von einem diachron gewachsenen, hochgradig dynamischen und flexiblen, im stetigen Wandel befindenden Systems,

scheinen wir mit einem Paradoxon konfrontiert.

Die Visuelle Grammatik setzt sich daher zum Ziel, nicht nur den aktuellen Stand einer Sprache, sondern auch vorhergehende Prozesse, zukünftige Stadien, wie auch potentielle Spielräume anderer Sprachen und Sprachfamilien abbilden zu können und so mit unserer aktiven, wie auch passiven Kompetenz strukturelle Hierarchien zwischen bestimmten phonetischen und morphologischen Lautketten und semantischen und pragmatischen Intensionen herzustellen, und diesen aus einzelsprachlicher, wie auch universeller Sicht, gerecht zu werden.

Versuche der deskriptiven Erfassung der mentalen Repräsentation unserer Sprache finden sich aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Schwerpunkten, vgl. Dependenz- und Valenzgrammatik (Tesnière, 1980), Funktionale Grammatik (Dik, 1991), Inhaltsbezogene Grammatik (Weisgerber, 1953), Kasus-Grammatik (Fillmore, 1968), Generative Transformationsgrammatik (Chomsky, 1970), Kognitive Grammatik (Langacker, 1987), etc.

Die Visuelle Grammatik zielt daher darauf ab, eine möglichst flexible Darstellung der Grammatik zu bieten, welche nicht nur erlaubt unendlich viele grammatisch korrekte Sätze in der Einzelsprache zu illustrieren, sondern auch Deutungsmöglichkeiten für Abweichungen im Sprachvergleich zulässt.