Semantik

Mit Hilfe der Visuellen Grammatik können nicht nur aus sprachkontrastiver Sicht unterschiedliche Kodierungsstrukturen (vgl. pränominale vs. postnominale Adjektivsetzung) aufgezeigt werden, wie im Falle vom dt. blaue Augenvs. sp. ojos azules, sondern auch Abweichungen vom prototypischen Muster in einer Sprache illustriert werden. Im Falle des spanischen Satzes: Él compró una (nueva) mesa (nueva) “Er kaufte einen neuartigen/neuen Tisch“, entscheidet allein die Stellung (pränominal “neuartig” bzw. postnominal/prototypisch “neu”) über die Bedeutung des Adjektivs. Durch die flexible Umlaufbahn liegen beide Varianten im Bereich der sprachlichen Flexibilität. Allerdings wird die prototypische Stellung mit der prototypischen Bedeutung assoziiert (“neu”) und die vom ursprünglichen Kodierungsschema abweichende (“neuartig”) als semantisch markierte Variante mit einer geringeren semantischen Extension wahrgenommen (“nicht nur neu, sondern auch neuartig”). Prototypische Stellungen verlangen vom Rezipienten keine Interpretation des Gesagten. Nicht-prototypische Stellungen stellen eine Art Markierung der Aussage dar. Der Rezipient muss sich also fragen, warum der Produzent einen bestimmten Teil der Aussage durch eine Abweichung von herkömmlichen Mustern betont. Dazu muss er das betreffende Element “öffnen” und näher betrachten, um die Bedeutung zu erschließen. In Abb. 29 wird mit der Voranstellung von nueva betont, dass der Tisch wirklich neu, ja sogar neuartig ist:

Um diesen Vorgang noch besser zu verstehen, wird das gleiche Phänomen, diesmal aber im grammatikalischen Bereich, mit Hilfe eines kontrastiven Beispiels illustriert.

Der Unterschied zwischen Indikativ und Konjunktiv lässt sich im Deutschen leicht mit Hilfe der syntaktischen Strukturen veranschaulichen. Während die Aussage im Indikativ Sie hat einen Freund, der nicht raucht, folgendermaßen in der Virtuellen Grammatik wiedergegeben werden kann:

 

Erfordert die Darstellung des Wunsches Sie sucht einen Freund, der nicht rauchen soll, eine komplexere syntaktische Struktur. Der Konjunktiv wird zudem mit soll markiert:

Im Spanischen wird der Konjunktiv (bzw. Subjuntivo) nicht extern, sondern intern am Verb markiert. Dies hat zur Folge, dass der Unterschied auf syntaktischer Ebene erst einmal nicht sichtbar ist. Der Satz Quizás llueve/lluevVielleicht wird es regnen” in der Bedeutung “Ich bin davon überzeugt” unterscheidet sich strukturell nicht von der Interpretation “ich glaube es allerdings nicht”. Allerdings erfolgt durch die Setzung des Subjuntivos am Verb die Markierung durch den Produzenten, dass er keine Kontrolle (Vesterinen & Bylund, 2013) über die Aussage hat. Im konkreten Fall (Abb. 32), drückt das Verb im Subjuntivoaus, dass man keine Kontrolle über das Wetter hat. Während also der Aussagesatz (Indicativo) keine Interpretation seitens des Rezipienten erfordert, enthalt der Satz im Konjuktiv (Subjuntivo) im Spanischen eine zusätzliche semantische Information:

Der in Abb. 30 und 31 illustrierte syntaktische Unterschied zwischen der Aussage (Sie hat einen Freund, der nicht raucht) und dem reinen Wunsch (Sie sucht einen Freund, der nicht rauchen soll) wird folglich im Spanischen gleich syntaktisch kodiert:

Der Rezipient muss folglich die Markierung (sp. fuma vs.fume) als Markierung der Nicht-Kontrolle [-Kontrolle] des Produzenten über die Realisierung der Aussage interpretieren, um den Unterschied zu verstehen.